Wenn mein Großvater, geboren 1890, in mein Haus einkehren würde, würde er sich nicht zurechtfinden, weder in meinem Haushalt noch in meinem Büro. Wir Menschen der Gegenwart haben so viel mehr Möglichkeiten, unsere Arbeitswelt und unser privates Leben zu gestalten. Aber das Leben ist auch komplizierter geworden. Wir müssen uns bei so vielen modernen Kommunikationsmethoden auskennen. So viele Maschinen, deren Abläufe wir nicht durchschauen können, nehmen uns die schweren und langweiligen Arbeiten ab. Eigentlich sollten wir durch diese modernen technischen Errungenschaften mehr Zeit für uns haben.
Wenn ich diesen Artikel fertig geschrieben habe, brauche ich ihn nicht mehr zu Papier bringen, auch nicht in einen Umschlag zu stecken und zur Post zu tragen, damit ihn mein Chefredakteur bekommt. Ich bleibe auf meinem Bürosessel sitzen und schicke ihn via Internet. Wenn der Redakteur will, kann er ihn einige Minuten später an seinem Computer öffnen und lesen.
Was mache ich mit der gewonnenen Zeit? Werde ich meine Arme verschränken, mich über den gelungenen Artikel freuen, mich auf das Wesentliche besinnen? Ich muss über meine Zeit wachen, über meine Gesundheit, über meine Gedanken. Ich will nicht wie der Schnellschwimmer mit einem Kopfsprung ins kalte Wasser, mich in die nächste Aktivität stürzen.
Ich will es mir erlauben – und ich kann es mir glücklicherweise auch leisten –, meine Arbeitszeit selber einzuteilen. Ich will meinen Alltag bewusst in die Pflicht nehmen. Der Alltag soll nicht mich gestalten. Nach einigen Stunden am Computer kommt Gartenarbeit an die Reihe oder Küchenarbeit. Hin und wieder ist auch ein Spaziergang in der Natur erlaubt. Dabei lasse ich mir allerhand einfallen.
Die meisten Menschen leben außerhalb ihres „Vermögens“. Dabei geht es nicht nur ums Geld, um Konsum an sich, sondern auch um Zeit, ums Essen, um Erholung. Es geht nicht um Askese, sondern um den einfachen Verzicht auf Überflüssiges, mit dem wir sowieso nur schwer zurechtkommen.
Zu viele Kilos bringen mich in Atemnot. Warum habe ich nur wieder so viel gegessen? Ich will doch schon lange ein paar Kilo abnehmen! Ja, den Apfelstrudel mit Schlagsahne darf ich mir sicher hin und wieder leisten. Morgen aber gibt es einen Apfel als Nachspeise – und den genieße ich einfach! Hin und wieder ein Obsttag ist überhaupt gut für mich. Oder soll ich einmal versuchen, einen ganzen Tag lang nur Tee zu trinken? Das tut mir sicher gut und ich freue mich dann, wenn ich mir und meiner Esslust einmal ein Schnippchen geschlagen habe.
Wenn ich schon beim Aufräumen bin, kann ich gleich auch meinen Kleiderschrank durchforsten. Was sich da alles angesammelt hat, so ein Überfluss! Dieses gute Stück habe ich schon ein ganzes Jahr nicht mehr angezogen. Dafür hat mir meine Freundin letztens gesagt: „Ich sehe dich immer im gleichen Pullover.“ Beide Stücke sind noch gut erhalten: Also waschen und in die nächste Kleidersammlung. Im Schrank liegt noch genug.
Wovon kann ich mich noch trennen, um ein einfacheres Leben zu führen? Wie war das doch gestern Abend vor dem Einschlafen? Da habe ich mir Sorgen und Ängste um die Zukunft gemacht. Das Auto ist in die Jahre gekommen, das Hausdach sollte wieder einmal überstiegen werden. Der Winter ist noch lang und die Holzvorräte gehen zur Neige. Das alles kostet Geld. Woher kommt es? Wie werde ich das nur schaffen? Dann ist sogar noch die Vergangenheit ins Spiel gekommen. Weißt du noch, den Fehler, den du damals gemacht hast? Da warst du zu deinem Kind wirklich ungerecht. Hoffentlich hat es keinen Schaden genommen.
Ängste und Sorgen um die Zukunft, das Verweilen in der Vergangenheit rauben mir die Kraft und die Zeit, einfach im Jetzt zu leben. Und ich kann nur im Jetzt leben. Habe ich schon einmal etwas in der Vergangenheit erlebt oder in der Zukunft getan? Die Antwort ist doch einfach: Ich lebe im Jetzt. Damit kann ich klarkommen, dafür bekomme ich Kraft, aber nicht schon heute für die Zukunft.
Ich kann also auch in meinen Gedanken einfacher leben, kann Überflüssiges entfernen. Einfach, indem ich nicht zu viel über Sachen grüble, die ich doch nicht ändern kann; aber auch einfach, indem ich mich jeden Morgen auf den neuen Tag freue, über die Sonne, die wieder aufgeht, auch wenn das Wetter trübe bleiben sollte, sie ist doch da. Jeder neue Tag ist für mich eine Einladung, einfach zu leben – einfach im doppelten Sinn.
Es liegt an mir, den Tag einfach zu gestalten, Freude an den einfachen Dingen des Alltages zu finden, am Öffnen einer Blume, am Lachen eines Kindes, am überraschten Gesichtsausdruck meines Arbeitskollegen, wenn ich ihm voller Schwung einen recht guten Tag gewünscht habe.
Mit noch so viel Besitz kann ich mir die Lust am Leben nicht erkaufen. In einer alten Luther Übersetzung heißt es in Sprüche 13, Vers 7: „Mancher ist arm bei großem Gut, und mancher ist reich bei seiner Armut.“ Wenn ich jedem Wunsch nachgebe und ihn erfülle, kann ich auf die Dauer nicht glücklich sein. Weder Geld noch Bestätigung, auch nicht Erfolg kann meine Sehnsucht nach einem erfüllten Leben stillen. Wahre Freude entsteht durch ein einfaches Leben, duch den Umgang mit der Natur, das Angenommensein in meinem Freundeskreis und die Geborgenheit bei meinem Gott, Schöpfer und Erhalter.
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